Montag, 26. April 2010

Jetzt habe ich doch glatt die Leseprobe zu meinem letzten Post gefunden:

Der neue Name

Seit über zwei Jahren geht Matthis in den Kindergarten. Und eigentlich hieß der Kindergarten immer nur "Kindergarten" . Das soll jetzt anders werden, hat Susanne, die Erzieherin, gesagt. Der Kindergarten soll einen Namen bekommen! Dann kann man sagen, man geht nicht nur in den Kindergarten, sondern in den Kindergarten "Räuberhöhle'"oder "Schatzkiste" oder so.
Matthis hat einen Zettel mit nach Hause genommen. Alle Kinder und Eltern dürfen darauf Namensvorschläge machen. Und das Kind, das den besten Vorschlag abgegeben hat, gewinnt einen tollen Preis. Leider steht auf dem Zettel nicht, was für ein Preis das ist. Dabei würde Matthis schon gerne wissen, ob es sich überhaupt lohnt, mitzumachen. Eine Puppenstube wäre zum Beispiel richtig blöd, denn Matthis kleine Schwester Louisa hat schon eine. Die darf Matthis manchmal mitbenutzen. Außerdem findet Matthis Puppenstuben nicht wirklich toll. Schließlich ist er ein Junge. Nur manchmal spielt er doch damit ...
Jedenfalls würde Matthis sich wegen einer Puppenstube nicht sehr anstrengen, einen neuen Namen zu finden. Vielleicht ist der erste Preis aber auch ein ferngesteuertes Auto oder ein Fahrrad oder eine Wasserpistole. Matthis würde für eine Wasserpistole schon einen guten Namen finden. Ganz bestimmt sogar!
Als Matthis nach dem Kindergarten nach Hause kommt, steht Jonas im Hof und bastelt an seinem Mofa herum. Jonas wohnt nebenan und ist schon richtig alt! Er darf schon Mofa fahren. Trotzdem ist er Matthis' Freund und hat viele tolle Ideen im Kopf. "Hallo Matthis! Schweren Tag gehabt im Kindergarten?", fragt Jonas und wuschelt Matthis über den Kopf. Das darf bloß Jonas machen, ihm über den Kopf wuscheln. "Nöö! ", sagt Matthis. "War gar nicht so schwer. Die Susanne hat uns heute gesagt, wir sollen einen Namen für den Kindergarten erfinden. Und wer den besten Namen erfindet, gewinnt 'ne Wasserpistole oder so!" "Wow! 'Ne Wasserpistole ist schon `ne tolle Sache!", sagt Jonas. "Wozu braucht der Kindergarten denn einen Namen?"
"Na, das ist eben cooler, wenn man sagen kann, dass man in die 'Räuberhöhle' geht! Außerdem könnte man dann den Gruppen auch noch einen Namen geben. Dann bin ich nicht mehr in der 'Gruppe 2', sondern bei den 'Seeräubern'! Und Yannick ist dann nicht mehr in der 'Gruppe 1', sondern in der 'Hotzenplotz-Gruppe', klaro?" Jonas nickt. Der Jonas versteht eben gleich, worum es geht, und fragt nicht dauernd nach wie die Erwachsenen. "Klaro! ", murmelt er und wischt sich die öligen Hände an einem noch viel öligerem Tuch ab.
"Hmm, Jonas?", fragt Matthis. "Hmm, Matthis!", sagt Jonas. "Meinst du, du könntest mir helfen, einen neuen Namen zu finden? So einen richtig tollen, bei dem ich ganz bestimmt eine Wasserpistole gewinne?" Jonas stopft das ölige Tuch in seine Hosentasche und reibt sich seine Hände an der Jeans ab. Das geht besser, denn sie ist noch nicht so schmutzig. "Mensch, das wäre doch gelacht, wenn uns da nix Cooles einfallen würde!", sagt Jonas und wuschelt ihm wieder über den Kopf.
Matthis Mama ruft leider genau in diesem Moment aus dem Fenster: "Matthis!!!! Komm jetzt endlich rein, das Essen wird kalt!" Matthis verabschiedet sich schnell von Jonas und sie verabreden sich für nach dem Essen. Mama wundert sich ein wenig, warum Matthis so ölige Haare hat. Das muss wohl mit dem Wuscheln zusammenhängen. Zum Glück fällt Matthis der Zettel vom Kindergarten ein. Den gibt er Mama, bevor sie noch mehr schimpft. "Na, das ist doch eine süße Idee, das mit dem Namen für den Kindergarten!", sagt Mama, als alle am Tisch sitzen.
"Was für ein Name?", fragt Louisa. Louisa ist schon fast drei und soll bald in den Kindergarten kommen. Im Moment ist sie aber noch zu Hause und nervt Matthis mit ihren Fragen. "Der Kindergarten sucht nach einem Namen!,, sagt Mama und dann erklärt sie Papa und Louisa, was auf dem Zettel steht. "Ist das nicht süß?", fragt sie. "Hm", antwortet Papa. "Jonas will mir helfen, einen richtig guten Namen zu erfinden", ruft Matthis. "Wir könnten dir doch alle helfen!", schlägt Mama vor. Matthis weiß nicht so genau, was er davon halten soll. Jonas' Ideen sind normalerweise die besten. Aber es kann auch nicht schaden, noch andere Vorschläge zu hören. Schließlich geht es um eine Wasserpistole. "O.k.!", sagt Matthis zustimmend. Mama macht den Mund ganz spitz, als würde sie in die Luft küssen. Das macht sie immer, wenn sie scharf nachdenkt. "Wie wäre es mit Kindergarten 'Märchenschloss'? Dann gäbe es die 'Zwergen-Gruppe' und die 'Schneewittchen-Gruppe' oder die 'FeenGruppe'!" "Oh Mama!", ruft Matthis entsetzt. "Das ist doch überhaupt nicht cool!" Allein die Vorstellung, er könnte zur Schneewittchen-Gruppe gehören, macht ihm schon Angst.
"Tja, ich verstehe", sagt sie und küsst wieder in die Luft. "Und was hälst du vom Kindergarten 'Knusperhäuschen'? Du könntest in der 'Lebkuchen-Gruppe' sein oder in der 'Marzipan-Gruppe', schlägt Mama jetzt vor. Matthis verzieht das Gesicht. Er ist wirklich froh, dass er sich nachher mit Jonas trifft. "Ich bin für Kindergarten 'Käseschachtel!', ruft Papa. "Die einen sind dann die 'Gouda-Kinder', die Nächsten die 'Edamer-Kinder' oder die 'Leerdamer-Kinder!' "Ach Papa!", protestiert Matthis. "Ach Günther!", ruft Mutti. "Tja, wenn ihr meine Vorschläge nicht zu schätzen wisst", kichert Papa, "dann gehe ich jetzt wieder ins Büro! Bis heute Abend, ihr Süßen!" Er steht auf und zwinkert Matthis zu. "Ich will in die 'Gouda-Gruppe'!", sagt Louisa.
Nach dem Essen klingelt Matthis bei Jonas. Der kommt die Treppe runtergepoltert und öffnet die Tür. "Hi, Kurzer!", sagt er und wuschelt Matthis durch die Haare. "Uhh! Deine Haare sind aber ganz schön ölig!" "Hast du schon 'ne Idee?", fragt Matthis gleich. "Ähh..., ja sicher. Einen Namen suchst du, oder? Für den Kindergarten, stimmt's? Also, wie wäre es mit 'Gustav'?"
"Du willst mich bloß veräppeln!", schimpft Matthis und zieht ein schiefes Gesicht. "Schon gut, Kurzer! Wir finden einen guten Namen für deinen Kindergarten!" Und dann setzen sie sich in Jonas' Zimmer auf das Bett. Jonas holt Papier und Bleistift und sie verbringen den ganzen Nachmittag damit, richtig coole Kindergartennamen zu sammeln.
Am nächsten Morgen bringt Matthis den ausgefüllten Zettel wieder in den Kindergarten. Er hat den besten Namen, den man sich für einen Kindergarten wünschen kann. "Kindergarten 'Rummelplatz'?", fragt Susanne, als er ihr den Zettel überreicht. "Jawohl!", sagt Matthis zufrieden. "Und ich will in die 'Achterbahn-Gruppe'. Oder wenigstens in die 'Geisterbahn-Gruppe'!" "Aha!", sagt Susanne und lächelt. Natürlich ist Matthis nicht der Einzige, der einen Namensvorschlag abgegeben hat. Aber er ist sich fast sicher, dass er den besten Namen erfunden hat. Schließlich hat ihm Jonas dabei geholfen. Nach zwei langen Wochen soll endlich bekannt gegeben werden, wie der neue Name lautet. Matthis kann seit zwei Nächten kaum einschlafen, so sehr freut er sich schon auf die Wasserpistole.
Alle Eltern sind an diesem Tag eingeladen. Es gibt sogar Saft, Kekse und Spiele. Nun steht Susanne mit einem Zettel in der Hand auf einem Hocker. Alle schauen gespannt zu ihr, als sie sagt, dass nun die Preisvergabe kommt. "Wir hatten viele schöne und ... äh ... ausgefallene Namensvorschläge! Aber wir haben uns auf einen einzigen Namen einigen müssen. Unser Kindergarten heißt ab sofort: Kindergarten 'Gänseblümchen' !"
Alle klatschen. Alle außer Matthis. Nein, der klatscht nicht, der ist stinksauer. Kindergarten "Gänseblümchen"! So ein ausgemachter Blödsinn! Da wäre er ja noch lieber in die "Gouda-Gruppe" von Louisa gegangen. Nee, also wirklich!
Und dann zeigt Susanne ein Schild, das nun draußen am Eingang hängen soll. Natürlich steht darauf "KINDERGARTEN GÄNSEBLÜMCHEN". Am Rand sind viele kleine Gänseblümchen gemalt. Matthis könnte heulen! "Und der erste Preis geht deshalb an Jana, die diesen Namen für uns vorgeschlagen hat!", hört Matthis Susanne sagen. Wieder klatschen alle. Jana darf nach vorne kommen und bekommt - eine kleine Puppenstube aus Holz! Plötzlich muss Matthis grinsen. Ha! Da hat er ja noch mal Glück gehabt! Wenn er jetzt da vorne stehen würde, müsste er ja so tun, als würde er sich über das Puppenhaus freuen ...
Als er abends Jonas im Hof trifft, erzählt er ihm von der Gänseblümchen-Pleite. Und von dem Triumph wegen des Puppenhauses. Und dann passiert etwas, das Matthis Jonas nie vergessen wird. "Ich brauch sie nicht mehr, Kurzer", sagt Jonas, wuschelt Matthis durch die Haare und schenkt ihm seine alte Wasserpistole. Also, Jonas ist wirklich ein echter Freund. Unter diesen Umständen lässt es sich sogar im Kindergarten "Gänseblümchen" aushalten!

Claudia Weiand

aus:Schön ist es, auf der Welt zu sein. Vorlesegeschichten vom Mutigsein, Streiten und Liebhaben, © 2003 KeRLE im Verlag Herder, Freiburg im Breisgau.


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